EINLEITUNG, DOMINIQUE VON BURG
Seit rund dreissig Jahren beleuchtet Teres Wydler mit ihren multimedialen Werken das Wechselverhältnis von Kunst und (Natur-)Wissenschaft. Sie reflektiert aus einem eigenen Blickwinkel über die Natur als Teil unserer Kultur. Dabei befragt sie die menschlichen Verhaltensweisen gegenüber der Natur, insbesondere unsere Wahrnehmung und unsere Fähigkeit, die Natur so- wie deren Mediatisierung zu begreifen. Innerhalb der aktuellen Wissenschaftsentwicklung setzt sie sich mit naturwissenschaftlichen Modellen auseinander und erkundet die Dimensionen einer künstlichen Hypernatur. Zur Erforschung und Visualisierung die- ser Themen dienen ihr Video- und Lichtinstallationen, prozess- orientierte Werke, Kunst-am-Bau-Projekte sowie Fotoarbeiten als Methode und Medium. Mit Blick auf die kulturelle und mediale Konstruktion von Natur bezieht sich die Künstlerin auf einen erweiterten Naturbegriff, der Natur nicht mehr nur betrachtend wahrnimmt, sondern auch aktiv in sie eingreift, um ihr verborgenes Sein zu enthüllen. Sie fühlt sich in keiner Weise einer roman- tischen Naturauffassung verpflichtet, sondern interpretiert die Natur mit einem analytischen Blick als Teil eines evolutionären Prozesses, innerhalb dessen sie dem Menschen eine irrelevante Rolle zuordnet.
In den Achtzigerjahren arbeitet Teres Wydler als eine der Ersten an der Schnittstelle zwischen naturwissenschaftlicher und künstlerischer Forschung im Geiste von amerikanischen Land- Art- und Concept-Art-Künstlern wie Robert Smithson, Walter De Maria und Michael Heizer. In aufwändigen Versuchsanordnungen mit Pflanzen und Samen beobachtet sie den Einfluss der Natur auf die Kunstwerke.
Erste «Plantagen»-Bilder entstehen, die den Veränderungsprozess des Organischen in die Präsentation einbeziehen. Damit gerät ihr Werk in die Nähe der Prozesskunst und der ihr nahestehenden Arte Povera, während es gleichzeitig im Zusammenhang mit einer «Post-Studio»-Praxis steht, deren immanente Bestand- teile Laborsituationen und ortsspezifische Verfahrensweisen sind. Einen Gegenpol zu den naturhaften Kunst- und Keimwerken bilden die konzeptuell geprägten Bildkompositionen, die symbolische, mathematische Formeln und Lettern zeigen und damit geistige Dimensionen eröffnen. Die Formeln dienen der Künstlerin als ein Medium, das ihr ermöglicht, neue, in die Zukunft weisende Denkwege zu begehen. Mit den Formel-Bildern rekurriert sie auf die bekannten «Lectures on Physics» des amerikanischen Physikers Richard Feynman, 1 der Quantenphysik und Ästhetik zu versöhnen wusste. Für Feynman ermöglicht das Verständnis eines
Phänomens – etwa einer Naturschönheit – den Blick hinter die oberflächliche Schönheit, wodurch sich die dahinter verborgene wahre, tiefere Schönheit offenbart. Auf die Nähe von Natur- und Kunstschönheit weist auch der Physiker Hans Reichenbach mit seinen Überlegungen zur kreativen Verbindung von wissenschaftlichen und emotionalen Aspekten hin.2 Diese haben im Schaffen von Teres Wydler einen zentralen Stellenwert.
Immer wieder erzeugt Teres Wydler Serien, die sich als tagebuchartig aneinander gefügte Prozesse präsentieren und oft längere Zeitphasen umfassen. Die Arbeiten sind weniger Antworten und Resultate als vielmehr Zäsuren im unaufhörlichen Prozess ihrer Befragungen. Von den frühen «Herbarinstallationen» ab 1982 über den «Thymianhügel», die «Plantagen»-Bilder, die «Osmosen» und die «Photosynthetics» führt ein direkter Weg zum Reservat mit Zimmerpflanzen und Weizengras in Pflanzenschalen von 1998. Während die «Plantagen»- oder «Territorien»-Bilder natürliche und künstliche Prozesse visualisieren, zeugen die Tondi aus der «Naturales»-Serie von einer Weiterentwicklung, insofern als sich in den Scheiben ein schillerndes Spiel von aufleuchtenden und sich schliessenden Flächen entfaltet. Darin kündigen sich die Reflexionen an, die bis heute neben den Lichtarbeiten zum bevorzugten Medium werden. Im Spiel mit direkten und indirekten Lichtquellen zeigt Teres Wydler auf, wie Licht funktioniert. Schliesslich geht es ihr auch darum, den Begriff der Reflexion erfahrbar zu machen. Während das Licht als sinnliche Wahrnehmung in Form von Reflexion, Projektion, Spiegelung, Schatten und Glanz erscheint, ist die Reflexion auch ein intellektueller Vorgang, ein Begriff für Kulturleistungen, der sich metaphorisch als «Licht des menschlichen Geistes» zu erkennen gibt. Lichtphänomene sind zentrale Bestandteile der Kunst-am-Bau-Arbeiten von Teres Wydler wie auch ihrer grossräumigen und aufwändigen Videoinstallationen. Diese reflektieren nicht nur in komprimierter Form ihre bisherigen Arbeiten – von den «Paintings on Myth and Science», den «Formulas», den «Osmosen», den «New Landscapes» über die «Plantagen» und «Naturales» zu den Installationen mit Katzenaugen, mit Licht und Schatten sowie den Reflexionen mit Spiegeln –, sondern stehen auch als eigentliche Quintessenz ihres Œuvres da. Die Synthese ihres Schaffens ist fast schon exemplarisch an der fünfteiligen multimedialen Installation «N.I.C.E. Nature In Corrosive Ecstasy©» von 2007 abzulesen. Diese setzt sich zusammen aus der Videoinstallation «Blatt/ Spiegel», die eine meteorologische Erscheinung und die mutierte Natur zugleich aufscheinen lässt, dem begehbaren Videokubus «Red Rain», der den Impuls von Naturereignissen aktiviert, und
der Installation «Mikro Makro» mit einer extraterrestrischen Sicht auf die Erde und einer molekularen in einen menschlichen Zellkern. Umrahmt wird das Projekt von einer Tonspur mit tie- fen akustischen Schwingungen eines Erdbebens und von einem Textband, beschrieben mit einem Zitat von Hermes Trismegisto3. «Mikro Makro» veranschaulicht zudem ein Diktum von Hans Reichenbach, wonach «der menschliche Körper so klein wie ein Atom oder so gross wie das Planetensystem werden könnte»4. Weitere Betrachtungen von Hans Reichenbach – zur Synthese von wissenschaftlichen und emotionalen Aspekten – haben sich auch in der animierten Videoinstallation «Full Cycle / Short Cut» von 2011 niedergeschlagen, deren einzelne Motive zum Teil aus früheren Werken stammen. Im Kunstraum Engländerbau, Vaduz, wurde sie in einem etwa 300 Quadratmeter umfassenden Raum gezeigt, der so quasi kosmische Dimensionen annahm und die Betrachter in einem dynamischen Sog zu entgrenzenden Erfahrungen führte.
Das multimediale Werk verfolgt vielfach einen konzeptionellen Ansatz. Ursprünglich von Joseph Beuys inspiriert, insbesondere von seinem erweiterten Naturbegriff, geht es von einem transdisziplinären Fundament aus und beleuchtet kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge. Zudem nimmt Teres Wydlers Werk im Diskurs, der naturwissenschaftliche Themen im Kunstkontext abhandelt, wie er besonders in den Neunzigerjahren von Kunstschaffenden wie Olafur Eliasson und Christa Sommerer & Laurent Mignonneau vorangetrieben wurde, eine wesentliche Position ein. Physikalische Phänomene in der Natur (wie Licht, Wasser und Bewegung) sowie Reflexionen sind sowohl Eliasson als auch Teres Wydler ein grosses Anliegen. Das Œuvre von Teres Wydler, das schon seit den Achtziger- und Neunzigerjahren die Grenzsphäre zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit auslotet, steht zudem im Kontext von Arbeiten einer Anzahl von jungen Kunstschaffenden wie etwa Julia Rometti & Victor Costales, die mit ungewöhnlichen Methoden die verschiedensten Disziplinen in ihren Werken absorbieren, welche den Charakter von Erkenntnisinstrumenten annehmen.
Die Themen und Motive der verschiedenen Werkzyklen von Teres Wydler finden sich rhizomartig miteinander verknüpft, nicht zuletzt weil sie stets gleichzeitig an verschiedenen Projekten arbeitet, die sich wechselwirkend gegenseitig durchdringen und überblenden. In ihrer New Yorker Zeit zwischen 1983 und 1987, die sie als enorme Aufbruchsphase empfindet, entwirft sie akkurat am 1. November 1983, zu Allerheiligen, Pläne und Skizzen für ein «Weltenei». Diese gehen zunächst aus ihrer Beschäftigung mit dem pelasgischen Schöpfungsmythos hervor, wobei die Metapher des Zusammengehens von Himmel und Erde auch von der mystischen Sicht Joseph Beuys’ beeinflusst ist. Man ist wiederum an «Mikro Makro» aus der multimedialen Installation «N.I.C.E. Nature In Corrosive Ecstasy©» erinnert, das mit einer extraterrestrischen Sicht auf die Erde neben einem molekularen Blick in einen menschlichen Zellkern das Prinzip der Analogie «Wie oben, so unten» nach Hermes Trismegistos evoziert, dem- zufolge die Verhältnisse im Universum (Makrokosmos) denen im Individuum (Mikrokosmos) entsprechen, während sich die äusseren Verhältnisse im Menschen spiegeln und umgekehrt. In einer Skizze von 1985, «Blueprint for Worldegg», stellt Teres Wydler «ihr» Weltenei in Form von Atomkernen dar, die als stabile und instabile Kerne in einer Unendlichkeitsschlaufe kreisen. In den «Plans for Worldegg» und dem «NYC Diary», 1983, ist es so dargestellt, als würde es in unzählige zeichen- und symbolhafte Bestandteile zerspringen und das uranfängliche Chaos erzeugen. Im Laufe der Jahre haben sich diese Partikel als Bausteine ih- res eigenen künstlerischen Kosmos entpuppt, der sich in seiner Quintessenz dadurch auszeichnet, dass das Prozessuale, das wissenschaftliche Vorgehen, mit ästhetisch prägnanten Metaphern visualisiert wird.
1 Richard P. Feynman, QED (Quantum Electrodynamics). The Strange Theory of Light and Matter, Princeton, New Jersey, 1985.
2 Hans Reichenbach, Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie, Berlin 1953,
S. 178ff. Reichenbach hat eigentlich ein neues philosophisches Programm ins Leben gerufen, welches sehr eng mit der Wissenschaft verbunden ist. Dies war Reichenbachs wahre und grosse Leistung, die auch seinen Einfluss bestimmte.
3 «[...] der irdische Mensch ist zusammengesetzt: in seinem Innern herrscht der Himmelsmensch, unsterblich und schön. Äusserlich ist er Natur, sterblich und zerstörbar. Deshalb leidet der unsterbliche Mensch und verliebt sich in sein Schattenbild. Er gibt die Realität auf und haust im Dunkeln der Illusion [...]»
4 Hans Reichenbach, Erfahrung und Prognose, übers. von Maria Reichenbach und Hermann Vetter, in: Hans Reichenbach. Gesammelte Werke, Braunschweig 1983, S. 96.